Pillenblister

Kannst du uns kurz erklären, was man unter PrEP (Pexpositionsprophylaxe) versteht?

PrEP meint Medikamente, die prophylaktisch eine Ansteckung mit HIV verhindern sollen. Man nimmt sie ein, schon bevor es zu einem Risikokontakt kommt. Die Wirkstoffe sind die Virostatika Tenofovir und Emtricitabin und man nimmt recht bequem nur eine Tablette pro Tag.

Selbst diejenigen, die bereits von PrEP gehört haben, verorten dessen Anwendung wohl eher bei schwulen und bisexuellen Männern. Frauen kommen in der öffentlichen Diskussion nicht vor. Was kannst du dazu sagen? Was sind deine Gründe, PrEP zu nehmen?

Ich nehme PrEP, weil ich beispielsweise in Swingerclubs gehe und dadurch viele, phasenweise sehr viele wechselnde Sexualpartner*innen habe. Ich bestehe dort zwar immer auf Kondomen, aber ich kenne Unfälle – und leider auch Menschen, die sich dann doch nicht immer an Absprachen halten. Das ist natürlich strafbar, nur hilft mir das in dem Moment nicht.

Mit der PrEP fühle ich mich einfach noch ein Stück sicherer und kann meine Abenteuer freier und selbstbestimmter genießen. Es stimmt aber, dass Frauen leider bisher keine Rolle in der Aufklärung darüber spielen. Die Kondomakzeptanz unter Heterosexuellen ist sehr hoch. Ich denke, das ist das Argument, mit dem man diese Gruppe gar nicht über die Möglichkeiten der PrEP aufklärt. Ich persönlich halte das für falsch. Wer viel Sex hat, wechselnde und vielleicht anonyme Partner*innen oder riskantere Spielarten mag, sollte eine gute Aufklärung über Risiken und Vorsichtsmaßnahmen bekommen. Nur so kann man verantwortungsvoll abwägen, wie ein individuell passender Schutz aussehen kann.

Kondome schützen vor einer Vielzahl von STI (sexually transmitted infections = sexuell übertragbare Erkrankungen), PrEP nur vor HIV. Als zusätzliches Sicherheitsnetz fühlt es sich für mich aber gut und richtig an.

Was muss ich tun, um PrEP verschrieben zu bekommen? Welche Kosten kommen auf mich zu?

Das ist überraschend einfach: Man geht zu einer HIV-Schwerpunktpraxis und lässt sich dort beraten. In der Anamnese wird geklärt, wie hoch das persönliche Risiko ist. Ich habe Sex mit MSM (also Männern, die Sex mit Männern haben) und gelegentlich ist ein wenig Blut oder Sperma mit im Spiel. Das reichte absolut aus, um als Risikogruppe zu gelten. Nach ein paar Voruntersuchungen (vor allem Nierenwerte und STI-Tests) kann es dann sofort losgehen. Die Kosten für Tests und Medikamente bezahlt die gesetzliche Krankenkasse. Außer Rezeptgebühren einmal im Quartal muss ich nichts selber zahlen.

Wie gestaltet sich die Anwendung? Ab wann tritt die Schutzwirkung ein?

Die Tablette nimmt man täglich ungefähr zur selben Zeit am besten zu einer Mahlzeit ein. Die volle Schutzwirkung entfaltet sich nach sieben Tagen. Nach dem Risikokontakt muss man die Tabletten bei vaginalem Kontakt mindestens weitere sieben Tage einnehmen. Bei rein analem Kontakt reichen auch drei Tage. Frauen wird durch die höhere Aufnahmebereitschaft der Vaginalschleimhaut grundsätzlich empfohlen, das Medikament einfach durchgängig zu nehmen, aber theoretisch ist eine Einnahme nach Bedarf natürlich möglich. Darüber kann der Arzt genauer aufklären.

Verschrieben bekommt man die PrEP immer für drei Monate. Vor dem neuen Rezept werden ein HIV-Test gemacht und Nierenwerte bestimmt, denn so ganz ohne ist die PrEP nun mal nicht. Man kann dann auch unproblematisch gleich mit auf alle anderen STI testen, auch das wird alles von der Krankenkasse bezahlt. Ich mache immer sämtliche Tests für größtmögliche Sicherheit für mich selbst und meine Kontakte.

Hast du durch die Einnahme Nebenwirkungen?

Die ersten zwei Wochen lang war mir morgens ein bisschen übel. Nicht schlimm, aber spürbar. Ich hab die Tabletten ab dann nicht mehr abends, sondern mittags genommen, damit verschwand das. Sonst spüre ich keinerlei Nebenwirkungen. Weil man ja jedes Quartal persönlich zum Arzt muss für Tests, habe ich auch keine größeren Sorgen, dass Auswirkungen unentdeckt bleiben, die nicht sofort spürbar wären. Ich fühle mich in meiner Praxis rundum gut beraten. Vor allem muss ich keine Sorgen haben, auch mal über Verhütungsunfälle oder dergleichen zu sprechen. Da wird nichts bewertet, die sind viel Schlimmeres gewohnt.

Sprichst du mit deinen Sexpartner*innen über deine PrEP-Einnahme?

Ich spreche mit Menschen darüber, die ich regelmäßig date. Da ist es auch schon mal passiert, dass jemand in der Folge gerne auf Kondome verzichtet hätte, aber da bin ich dann sehr deutlich. Ansonsten spreche ich gerne und viel lose darüber, dass diese Prophylaxe-Möglichkeit grundsätzlich existiert. Ich kläre gerne darüber auf und vielleicht ist das sogar einer der Hauptgründe, warum ich die PrEP nehme, obwohl das Swingen gerade coronabedingt auf Eis liegt: Ich möchte wissen, was ich Menschen da erzähle und was das Zeug so macht.

Was wünschst du dir für die (künftige) gesellschaftliche Diskussion im Umgang mit PrEP?

Ich wünsche mir dringend mehr Aufklärung für alle Risikogruppen. Denn Sex ist ja gar nicht der einzige Faktor. Vielleicht möchte ich mich zeitweise im Ausland aufhalten, wo HIV eine größere alltägliche Gefahr darstellt als hier. Vielleicht habe ich beruflich oder privat mit Drogen und deren Konsument*innen zu tun. Oder ich habe sonst enge Kontakte zu positiven oder potenziell positiven Personen. Es gibt so viele Konstellationen, in denen man sich Risiken aussetzen könnte.

HIV ist immer noch ein großes Tabuthema in unserer Gesellschaft, dabei ist es aufgrund guter Behandlungsmöglichkeiten längst nicht mehr so bedrohlich wie noch vor 15 oder 20 Jahren. Schließlich ist eine behandelte HIV-Infektion ja nicht mehr ansteckend. Dennoch möchte ich meinen eigenen Schutz und den meiner engen Kontakte gerne selbst in der Hand haben und dazu braucht es nun mal das Wissen, wie groß das Feuer denn überhaupt ist, mit dem man da spielt und wie man sich individuell am besten schützen kann.


Liebe Anna, an dieser Stelle nochmals vielen herzlichen Dank für deine Bereitschaft, meine Fragen so offen zu beantworten!

Annas Twitter-Profil: @annaleniel

Mehr Informationen zur PrEP findet ihr bei der AIDS-Hilfe.

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Diskussion

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    Karsten Kalbe — 1. März 2021 um 09:33

    Toller Artikel. Das war so neu für mich. Das es sowas gibt, das STI Tests die Kasse bezahlt und und. Ich muss die Informationen noch sortieren aber ich bin gerade dankbar das ich wieder etwas gelernt habe. Besonders weil das Thema STI und HIV bei mir im Kopf immer eine große Angst war und ist. Obwohl ich eigentlich mangels „Möglichkeit“ keinerlei Gefahr laufe, aber so ist das mit Ängsten eben. Danke dafür!

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    Christian-Alexander Finke — 1. März 2021 um 13:14

    Das war Neuland für mich und deshalb mega informativ. Meinen Dank! Liebe Grüße Chris @Physicist4Life (Twitter)

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