Tief in mir drin regte sich zum ersten Mal eine Stimme, die mir sagte: Nein, Marie, das hier ist nichts mehr für dich. Es machte großen Spaß mit Monsieur. Es ging jedoch nicht unter die Haut, weil ich das nicht zuließ. Schmerzen und Erniedrigungen hatten nicht mehr dieselbe Wirkung wie früher. Ich brauchte das nicht mehr, um mich gut und entspannt zu fühlen. Jede Sub kennt den Moment, wenn es plötzlich plopp! im Kopf macht und ein regelrechtes Vakuum entsteht. Manche nennen es Subspace, manche „fliegen“. Danach hatte ich während vergangener Sessions immer gestrebt. Dieser Augenblick, wenn man nichts mehr fühlt. Wenn man nur noch da ist und die Welt um einen herum leise vor sich hin plätschert.

Der Nachteil: Ich realisierte zu spät, dass ich im Anschluss an solche Sessions jemand brauchte, der kompromisslos präsent war. Es taten sich regelmäßig tiefe Löcher auf, die ich nicht alleine bezwingen konnte. Das Wechselspiel mit meiner seelischen Gesundheit entwickelte eine gefährliche Eigendynamik.

In Monsieurs Armen bemerkte ich: Dieser Drang, alles geben zu wollen, um endlich das plopp! zu hören, wurde zum Opfer meiner eigenen Vernunft. Und wahrscheinlich meines zunehmenden Alters. BDSM war in meinen Zwanzigern ein Weg, sexuelle Erfahrungen zu sammeln. Als devote Frau trägst du viel weniger Verantwortung, kannst dich in die Hände von jemand anderem begeben, der für dich (mit)entscheidet, wie es zu laufen hat.

Aber seit ich weiß, wie es läuft, was und wie ich es brauche – welche Rolle spielt dann noch der dominante Part? Was kann er mir zeigen? Welche Räume kann er mir öffnen, die ich nicht längst kenne oder die ich sogar selbst eingerichtet habe?

Diese Fragen sind für mich bis heute offen. Was ich definitiv weiß: Ich bin nicht der Typ für 24/7. Sobald das Spiel zu sehr in meinen Alltag eindringt, fühle ich mich eingeengt. Meine Libido ist sehr impulsiv und sprunghaft. An einem Tag habe ich Lust, frivol und aufreizend aus dem Haus zu gehen. Am nächsten Tag möchte ich Jeans und Turnschuhe annziehen und abends bei Netflix kuscheln. Nun schreibt mir Dom an einem dieser Casual-Tage, was er für Vorstellungen bezüglich meines Outfits hat. Da kommt aus meinem Inneren nur ein tiefes, sehr ernst gemeintes „nö, keine Lust“. Ich möchte keine Anweisungen bekommen, wie ich aus dem Haus zu gehen habe, wen ich zu vögeln oder nicht zu vögeln habe und ob ich beim Ficken einen Analplug zu tragen habe. All das entscheide ich selbst auf Basis meiner jeweiligen Tagesform.

Zusammengefasst heißt das: Devotion ist weiterhin geil. Den geileren Sex habe ich jedoch in anderen Konstellationen. Nämlich dann, wenn ich mich stärker einbringen kann. Wenn ich gestalten kann und meine wilde, aktive Seite ausleben darf, ohne vorher um Erlaubnis bitten zu müssen.

In dem Moment, als Monsieur von mir verlangte, eine zweite Sub für uns zu suchen, war für mich klar: Ich muss zu neuen Ufern aufbrechen. (Die Podcast-Hörer kennen diese Geschichte.)

Und damit kommen wir zu einem vollkommen neuen Kapitel.

Parallel zu meinen Treffen mit Monsieur las ich das Buch „Spieler wie wir“. In ihm geht es unter anderem um ein lesbisches D/s-Paar: Ann, die etwas ältere, dominante Frau, und Pauline, ihre devote Partnerin.

Ich las dieses Buch an drei Tagen. Es ist so dermaßen echt geschrieben, dass ich des Öfteren mit offenem Mund in der Bahn saß. Sonst lese ich erotische Literatur mehr aus voyeuristischem Interesse. Aber dieses Buch machte mich feucht.

Doch wie ich zu meiner Überraschung feststellen musste, war es nicht Paulines Perspektive, die mich nass werden ließ. Es war Anns Perspektive.

Ein Auszug:

Vor dem Sofa stehend reicht sie Pauline ein Glas. Beobachtet, wie sie es an die Lippen setzt, zaghaft trinkt, interessiert die Flüssigkeit mustert und danach die Maserung der Dielen.

„Brauchst du eine Aufwärmphase, Pauline?“

Sie schüttelt den Kopf.

„Ich habe dich etwas gefragt, Pauline.“

„Nein, Ann.“

„Gut, dann werden wir heute herausfinden, was du ertragen kannst.“

Sie hörte nicht auf, Pauline anzusehen, ihr mit ihrem kühlen Swimmingpoolaugen die Gesichtshaus zu verbrennen.

„Ich will dich besitzen, Pauline, verstehst du?“

„Ja, Ann. Ich möchte, ich möchte dir gehören, Ann.“

„Gut, dann wollen wir sehen, ob du dazu auch in der Lage bist.“

[…]

Ann dirigiert Pauline zum Schreibtisch, lässt sie sich über die leer geräumte Fläche legen und nimmt mit ihrer schönen, schlanken Hand das Lineal, das Pauline schon beim ersten Besuch den Atem geraubt hat. Jetzt streikt Paulines Lunge erst recht, als das Metall scharf ihre Haut trifft.

Ich wollte das erleben, was Ann erlebte. Mehr noch: Ich wollte Ann sein.

Da hast du langsam mit diesem BDSM-Gedöns und dem Devotsein deinen Frieden gemacht und dann träumst du plötzlich davon, wie eine andere Frau in deinen Armen leidet und wimmert. Bäm! Das saß.

Gut, mich machen prinzipiell viele Sachen geil, wenn ich in der richtigen Grundstimmung bin. Ich vertagte die Phantasie, was wunderbar überhaupt nicht funktionierte. Ich war gefangen von der Vorstellung, endlich meine eigenen Spielregeln zu machen und jemand anderen an seine Grenzen zu bringen.

(Fortsetzung folgt)

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Metamorphosen II
Metamorphosen IV

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