Mich erreichte kürzlich eine spannende Frage zum Umgang mit intensiven Machtspielen und der Angst vor sich selbst. Diese möchte ich gerne mit meinen Leser*innen teilen:

Mein Partner und ich machen seit ein paar Monaten gemeinsam unsere (teilweise) ersten Erfahrungen mit BDSM. Ich habe mich gedanklich schon lange damit befasst, hatte aber bisher keinen Partner, mit dem ich das so ausleben und mich so fallen lassen konnte. Nun habe ich derzeit das Glück einen solchen Partner zu haben, allerdings sind es für ihn die ersten Erfahrungen. Unsere Konstellation ist primär: ich (f) devot/passiv, er dominant/aktiv. Wir entwickeln uns gemeinsam mit Ruhe und (sehr wichtig) viel Vertrauen zueinander weiter. Wir genießen es beide sehr. Allerdings ist für meinen Partner beim Thema Machtspiele jetzt ein Punkt gekommen, an dem er beginnt sich Sorgen zu machen bzw. Angst vor sich selber bekommt. Es geht von der Art etwas in Richtung Rape Play. Das Bedürfnis kam vor meiner Seite. Wir genießen es beide und ich weiß, dass mein physisches und psychisches Wohl bei ihm in keinster Weise ein Gefahr ist. Ich weiß, dass ich bei ihm sicher bin. Ihn besorgt allerdings, dass er es genießt und er hat Sorge, dass er es zu sehr genießen könnte und was das für ihn bedeuten könnte bzw. über ihn aussagt.
So wie ich ihn kenne, sehe ich keinen Grund zur Sorge, aber ich nehme seine Bedenken ernst, weil es dabei ja um sein psychisches Wohlbefinden mit sich selbst geht und ich ihm mit der Erfüllung seiner Bedürfnisse nicht schaden möchte.

Meine Antwort:

Deine Schilderungen klingen danach, dass ihr das Ganze sehr (grenz)bewusst angeht. Ihr achtet aufeinander – das spürt man beim Lesen. Und das ist in meinen Augen einer der Faktoren, der BDSM zu einem guten Erlebnis für beide Seiten macht. Genau da liegt auch die Grenze zu destruktivem Sexualverhalten: Wenn man sich diese Gedanken nicht macht. Vielleicht kannst du deinem Partner damit die Angst etwas nehmen.

Destruktives BDSM (wie ich es definiere) ist nicht zwingend eine Frage von konkreten »richtigen« oder »falschen« Handlungen, sondern eine Frage von Konsens, Kontext und Kommunikation. Diese Einordnung fällt anfangs oft schwer, denn Handlungen, die gemeinhin als gefährlich gelten (schlagen, demütigen etc.) erhalten im Rahmen von konsensuellem BDSM eine andere Bedeutung. Sie sind lustvoll und gewollt. Gerade als Einsteiger braucht man Zeit, neue Praktiken in die eigene sexuelle Wertematrix einzuordnen.

Was seine Gedanken angeht: Du schreibst, er habe Angst, dass ihm das zu sehr gefällt. Dieser Zwiespalt ist etwas, das sehr viele BDSM-ler erleben. Auf der einen Seite ahnt man, dass man an einer bestimmten Praktik Gefallen finden wird. Auf der anderen Seite lauert unsere Prägung, die (je nach Vorgeschichte) eher lustfeindlich als lustfreundlich ist. Diesen Konflikt zu sehen und als Paar anzunehmen, kann schon ein großer Schritt sein. Eine Ideallösung gibt es da nicht und ich würde möglichst ergebnisoffen an die Sache herangehen. Es gibt sehr viele Menschen, die sich in einem solchen Konflikt gegen bestimmte Praktiken entscheiden. (Denn am Ende des Tages müssen sie mit ihrem Sexualverhalten leben bzw. mit dem, was das Ausleben mit ihnen macht.) Das ist eine der möglichen, völlig legitimen Lösungen. Daher empfehle ich dir, genau das zu signalisieren. Das nimmt ihm den Druck. Denn diese neue Seite in die eigene Persönlichkeit zu integrieren, ist eine große Aufgabe, die einiges an mentalen Ressourcen fordern kann.

Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass es sich lohnt, solche als grenzwertig empfundenen Praktiken genauer anzuschauen. Niemand beschäftigt sich gerne mit den eigenen, dunklen Seiten. Jedoch sind das unter Umständen genau die Anteile, die uns ganz machen. Je eher ich im Reinen mit diesen Anteilen bin, umso ausgeglichener und geerdeter trete ich auf.

Im BDSM entsteht die Spannung dadurch, dass man sich in ein Gefälle begibt. Das heißt, man entfernt sich unter Umständen sehr weit vom eigenen Alltags-Standpunkt und erkundet Gebiete, die ohne BDSM unentdeckt geblieben wären. Statt der Angst hilft mir hierbei eine Haltung der Neugier. Statt: »Oh je, ich bin ja eine total böse Frau, wenn mir XY Spaß macht.« Lieber: »Das ist ja spannend, dass mir XY Spaß macht. Das schaue ich mir nochmal genauer an.« Denn die Wertungen in Bezug auf unsere eigene Sexualität entstehen primär nicht im Außen, sondern im Innen. (Ausnahme ist natürlich die gesellschaftliche Intoleranz, die uns aber hier eh nicht weiterhilft.) Gleichzeitig bin ich emotional sicher, denn ich kann immer wieder zu meinem Alltags-Standpunkt zurückkehren und überlegen, ob ich nächstes Mal wieder in unbekanntes Gebiet gehen will oder lieber nicht. Diese Kontrolle liegt ganz bei mir. Selbst wenn mir auf der Achterbahn schwindelig wird, sobald ich festen Boden unter den Füßen habe, vergeht der Schwindel. Selbst wenn es sich nach »Kontrollverlust« anfühlt, ich kann immer wieder zu mir selbst zurückkehren. (So machtvoll sich BDSM manchmal anfühlt, es sorgt in der Regel nicht für dauerhaften Kontrollverlust.)

Ich mag Gedankenspiele und offene Fragen. Daher möchte ich zum Abschluss einige Fragen mitgeben, die dabei helfen können, dieses Thema als Paar aufzudröseln und ergebnisoffen miteinander zu sprechen:

  • Was würde das mit dir machen, wenn es dir »zu sehr« gefällt?
  • Was bedeutet in diesem Zusammenhang, es »gefällt mir zu sehr«?
  • Was könnte dir dabei helfen, den o. a. Konflikt zu lösen?
  • Welche Zusicherungen oder Signale brauchst du von mir?
  • Was würdest du gewinnen und was verlieren, wenn wir dieses Thema (nicht) weiterverfolgen?

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Diskussion

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    Christian_who — 19. Mai 2020 um 15:37

    Ich bin echt beeindruckt wie reflektiert und offen Du an so eine Frage herangehst.
    Ich beneide Dich ein wenig um Deine Fähigkeit das alles so zu gut zu überlegen und dann darum es auch noch so formulieren zu können.

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