Ich würde gerne viel öfter Buchrezensionen schreiben. Leider komme ich zeitlich nicht immer dazu, obwohl ich sehr viele Bücher lese. Momenten beschäftige ich mich stärker mit den Themen Polyamorie, offene Beziehungen und Promiskuität.

Dossie Easton und Janet W. Hardy geben in ihrem Buch „Schlampen mit Moral“ einen schönen Einblick in die praktische Ausgestaltung von Beziehungen außerhalb der Monogamie. Der Titel schreckte mich zunächst etwas ab, weil „Schlampe“ nun mal ein negativ konnotierter Begriff ist. In ihrem ersten Kapitel erklären die Autorinnen jedoch, was es damit auf sich hat. Im englischsprachigen Feminismus hat das Wort „slut“ eine andere Begriffsgeschichte, daher hakt es da natürlich bei der Übersetzung bzw. Einordnung.

Jedenfalls verstehen die Autorinnen unter „Schlampe“ ganz generell Menschen, die ihre Sexualität offen ausleben. Sie meiden absichtlich Begriffe wie nicht-monogam oder promiskuitiv, weil damit bestimmte Normen verknüpft sind. Nachdem ich das Buch zu Ende gelesen hatte, war meine Irritation gegenüber dem „Schlampentum“ verschwunden.

Was ihr von diesem Buch erwarten könnt …

Es geht wie gesagt um sehr praxisnahe Ratschläge, Übungen und Einsichten zu jeglichen Beziehungsformen abseits der Monogamie. Der Ton ist sehr locker – als ob ihr mit eurer besten Freundin quatschen würdet. Die beiden Frauen lassen Freunde zu Wort kommen, die von ihren individuellen Herausforderungen und Lösungsansätzen berichten.

Was ich dabei sehr gut finde: Es geht den Autorinnen nicht darum, ein Regelwerk aufzustellen, sondern vielmehr um eine grundsätzliche Beziehungsethik. Diese Ethik bemisst sich gerade nicht darin, dass man sich sexuell an einen Partner bindet. Ethisches Verhalten findet vielmehr dort statt, wo man aufrichtig kommuniziert und mit seinen Handlungen niemandem absichtlich Schaden zufügt.

Deshalb findet sich im Buch alles, was das polyamore Schlampenherz begehrt: von Hinweisen zu Safer Sex über den Umgang mit Eifersucht bis hin zu Tipps für Gruppensexpartys. In jedem Satz spürt man die Lebensfreude, die Dossie und Janet aufgrund ihrer freien Auffassung von Liebe und Sexualität an den Tag legen. Sie schaffen es, die gesamte Bandbreite abzudecken. Egal, ob jemand Single ist, in einer offenen Beziehung lebt, sich als polyamor definiert oder das eigene Begehren in gar keine Schablone passen will: Alle werden fündig. Selbst reine Swinger können für sich etwas mitnehmen.

Das Kapitel über Eifersucht hat mir persönlich am meisten gebracht. Einige der Übungen werde ich in Angriff nehmen, wenn sich wieder alles im Kopf dreht und das Herz brennt.

Generell spürt man bei der gesamten Lektüre, dass die Autorinnen therapeutisch tätig sind. Ich persönlich finde deren Perspektive sehr heilsam, da man sonst nur Beziehungsratgeber liest, in denen eine gestörte Bindung unterstellt wird, sobald einer der Partner Lust auf fremde Haut verspürt.

Dossie und Janet zelebrieren konsequent das So-Sein von Beziehungen. Sie machen keine qualitativen Unterschiede zwischen One-Night-Stands, Freunschaften Plus und jahrelang bestehenden Partnerschaften. Auch das macht diesen Beziehungsratgeber so erfrischend. Allgemein vertreten ja viele eher die Meinung, Beziehungen müssten irgendwohin führen. Und tun sie das nicht, liegt das an den charakterlichen Schwächen der beteiligten Personen. Etwas spitz formuliert: Kommt zwischen zwei Menschen nach dem Sex keine feste Partnerschaft/Hochzeit/Ehe/Kinder zustande, ist das als persönliches Scheitern zu verbuchen – vor allem auf Seiten der Frau. Wer dagegen die genannten Dinge erreicht, hat es geschafft. Völlig egal, ob er dann glücklich ist oder nicht. Die Autorinnen gehen deutlich hedonistischer an die Sache ran und schauen lieber auf das persönliche Glück als auf abstrakte Ziele.

Was ihr von diesem Buch nicht erwarten könnt …

Da ich wie gesagt mittlerweile einige Bücher zu alternativen Beziehungskonstrukten gelesen habe: Es geht hier nicht um eine intellektuelle Auseinandersetzung mit Monogamie oder dem diesbezüglichen gesellschaftlichen Diskurs. (Dazu kann ich „Die andere Beziehung“ empfehlen.)

Die feministische Brille der Autorinnen muss man ebenfalls mögen. Im Buch wird nur sehr selten von rein heterosexuellen Mann-Frau-Konstrukten gesprochen. Mir persönlich gefällt das gut. Personen, die bisher keine Berührungspunkte mit geschlechtlicher Vielfältigkeit hatten, ist das Buch möglicherweise etwas too much.

Das Buch setzt an dem Punkt an, an dem man für sich entschieden hat, der Monogamie zu entfliehen. Heißt: Es ist nicht als Entscheidungshilfe zu verstehen. Eine Liste mit Vor- und Nachteilen der jeweiligen Modelle findet man nicht. (Die Frage ist, ob es solche eine Liste überhaupt gibt oder ob so etwas nicht mit dem Herzen entschieden werden sollte.)

Kleine Abzüge gibt es, weil zu wenig über die Schwierigkeiten absoluter Offenheit gesprochen wird. Es gibt einige kritische Stellen, die meinem Empfinden nach aber nur an der Oberfläche kratzen. Da wäre etwas mehr Tiefe schön gewesen.

Wirklich Neues habe ich nicht gelernt, was sicherlich der Tatsache geschuldet ist, dass ich mich viel mit dem Thema beschäftige. Das Buch ist trotzdem sehr wertvoll für mich gewesen, weil die Autorinnen schlichtweg zwei tolle Frauen sind, die konsequent ihr Ding machen. Es ist Teil meines Wegs, mich ganz bewusst an mutigen Vorbildern zu orientieren und mich von ihnen inspirieren zu lassen.

Deshalb: Janet und Dossie, danke für euer tolles Buch! Ich empfehle es an dieser Stelle definitiv weiter.

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Metamorphosen V
Exklusivität in BDSM-Beziehungen

Diskussion

  • Kommentatoren-Avatar
    Shivabomba — 26. August 2018 um 13:51

    Auch ich fand das Buch sehr gut und kann die Empfehlung von dir nur unterstreichen. Ich habe es damals gelesen, als meine Frau und ich uns durch die Phase der Öffnung unserer Ehe durch bewegt haben. Mir hat damals besonders die Beschreibung der vielen Varianten von Beziehungen gefallen, weil es mir geholfen hat, mir meiner eigenen Wünsche und Bedürfnisse klarer zu werden. Die Beziehungs-Ethik der beiden Autorinnen hat uns beide darüber hinaus unterstützt, unsere beschämten Gefühle über unsere Beziehungsform zu erkennen, zu verstehen und aufzulösen. Aus meiner Sicht also ein echter „Geheim-Tipp“.

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